
Wer aus Deutschland, Österreich oder Schweiz ein Internat in Großbritannien besucht, staunt oft nicht schlecht, wenn er einen Blick ins Sportprogramm wirft. Zu Hause spielt man normalerweise Fußball, Handball oder vielleicht auch Hockey, Tennis und Golf. In England kann man das natürlich auch, aber hier begegnet man plötzlich Sportarten, die eher überraschen als vertraut wirken: Rugby und Cricket- okay. Aber Five, Rounders, Rackets oder Netball? Kaum jemand daheim hat je von ihnen gehört, und wer versucht, die Regeln zu erklären, steht am Ende alleine da.
Wer an ein britisches Internat geht, öffnet eine Tür in eine Welt neuer Sportarten, und wenn man zurückkommt, sind Rugby und Cricket genauso selbstverständlich wie das Kicken auf dem Bolzplatz. Hier geben wir einen Einblick, was sich hinter diesen ungewöhnlichen Namen verbirgt:
Rugby – das raue Herz des britischen Sports
Die Legende erzählt, Rugby sei 1823 in der Rugby School erfunden worden, als ein Schüler beim Fußball kurzerhand den Ball in die Hand nahm und damit losrannte. Seitdem gilt Rugby als Paradebeispiel für den Sportsgeist englischer Internate: körperlich, hart, aber voller Fair Play und Teamgeist. Zwei Mannschaften versuchen, den ovalen Ball hinter die gegnerische Linie zu tragen oder durch die Torstangen zu kicken. Rugby ist in England Nationalsport, weltberühmt durch die „Six Nations“ und die Weltmeisterschaft. Viele Internatsschüler – darunter spätere Premierminister und Mitglieder der Königsfamilie – haben sich hier ihre ersten blauen Flecken geholt. Für viele Schulen - darunter Millfield, Clifton, Sedbergh und Wellington - gehört Rugby bis heute zum Pflichtprogramm und prägt die Identität ganzer Jahrgänge.

Cricket – das Spiel, das Tage dauern kann
Cricket ist für Engländer das, was Baseball für Amerikaner ist. Der einzige Unterschied ist, es ist langsamer, komplizierter und traditionsreicher. Gespielt wird mit Schläger, Bowler und viel weißer Kleidung; Ziel ist es, Runs zu erzielen, indem der Ball geschlagen und zwischen zwei Markierungen hin- und hergelaufen wird. Manche Spiele dauern fünf Tage, und doch sitzen die Zuschauer geduldig auf der Tribüne – inklusive obligatorischer Teepause. Wir haben ein bisschen das Gefühl, dass es beim Cricket mehr um das soziale Zusammenkommen geht, als um das Spiel an sich. Aber: An britischen Internaten gehört Cricket zum Sommer wie das Eis am Stiel. Ganze Nachmittage verbringen Schüler auf den perfekt gepflegten College Greens, wo schon seit Jahrhunderten gespielt wird. Hier haben sich nicht nur spätere Nationalspieler ihre ersten Runs erkämpft. Auch Schriftsteller wie C. S. Lewis und andere legendäre „Old Boys“ standen als Jugendliche mit Schläger am Wicket. Indien, Australien und Pakistan sind heute die großen Supermächte des Crickets, aber die Wiege des Spiels liegt unverkennbar in England. Viele Internate - darunter Repton School, Shrewsbury School, Malvern College oder auch Merchiston Castle School in Schottland - sehen es als Teil ihrer Identität, diese Tradition lebendig zu halten.
Netball – Basketball ohne Brett
Netball wirkt auf den ersten Blick wie Basketball, läuft aber nach eigenen Regeln: Der Korb hat kein Brett dahinter, das Feld ist in Zonen eingeteilt, und jede Spielerin darf sich nur in bestimmten Bereichen bewegen. Das macht das Spiel taktisch, schnell und sehr teamorientiert.
An britischen Internaten ist Netball seit über 100 Jahren fest im Winter-Sportprogramm für Mädchen verankert – oft als Gegenstück zum Rugby der Jungen. Schulen wie Cheltenham Ladies’ College, Marlborough College oder Wycombe Abbey haben starke Netball-Teams, die in regionalen und nationalen Wettbewerben antreten. In den letzten Jahren öffnen sich jedoch auch mehr Schulen für gemischte Teams und Freizeitspiele, sodass Netball langsam den Weg aus der traditionellen Mädchensport-Ecke herausfindet.

Five – die unscheinbare Wandschlacht
Five klingt wie ein Kartenspiel, ist aber ein uraltes Handballspiel, das bis heute an traditionsreichen Internaten wie Eton, Shrewsbury oder Winchester gepflegt wird. Zwei Spieler schlagen dabei mit der bloßen Hand einen kleinen Ball gegen die Wand – ähnlich wie Squash, nur ohne Schläger. Es gibt verschiedene Varianten, etwa „Eton Fives“ oder „Rugby Fives“, und jede Schule ist überzeugt, dass ihre Form die einzig wahre ist. Besonders kurios: Viele Spielfelder sind asymmetrisch und haben Ecken, Vorsprünge oder sogar Fensterrahmen, weil sie ursprünglich an den Mauern alter Kapellen und Klöster entstanden sind.
Für Internatsschüler ist Five deshalb mehr als ein Sport: es ist ein Spiel, das nur „ihre“ Schule in genau dieser Form kennt. Wer dort aufwächst, nimmt diese Eigenheit als selbstverständlich hin und wird später oft schmunzeln, wenn Außenstehende völlig ratlos vor dem Spielfeld stehen.
Rounders – Baseball auf Englisch
Rounders ist so etwas wie die kleine Schwester des Baseballs. Mit einem kleinen Holzschläger versucht man, den Ball ins Feld zu schlagen und über vier Bases zu laufen.
An vielen Internaten ist Rounders fest im Sommerprogramm verankert. An der Sidcot School in Somerset etwa trainieren ganze Jahrgangsteams für ihre Matches, während an der Bedales School Rounders als feste Sportart im Sommerterm auf dem Stundenplan steht. Für viele ist es nicht nur ein Freizeitspiel, sondern Teil der Schulkultur und oft verbunden mit langen Nachmittagen auf den Rasenflächen, die typisch britisches Internatsleben widerspiegeln.
Rackets – „Squash auf Speed“
Rackets ist ein extrem schnelles Schlägerspiel, das in engen, schlichten Hallen gespielt wird. Der Ball ist klein und hart, die Schläger erinnern an Tennis, und das Tempo ist atemberaubend. Ursprünglich entstand das Spiel im 19. Jahrhundert in Londoner Gefängnissen, bevor es an die großen Internate exportiert wurde.
Bis heute sind es vor allem Schulen wie Harrow oder Eton, die das Spiel pflegen, mit eigenen Courts, die zum Teil seit dem 19. Jahrhundert genutzt werden. Weltmeisterschaften gibt es, aber nur in sehr kleinem Kreis; die Rackets-Community ist exklusiv und gilt deshalb als besonderer „Insider-Sport“: Wer Rackets spielt, gehört automatisch zu einer Tradition, die man außerhalb der Internatswelt kaum je zu Gesicht bekommt.
Eine Welt voller Tradition, Eigenheiten und Leidenschaft
Ob Rugby oder Rackets, Cricket oder Netball, Five oder Rounders. Die Sportkultur an britischen Internaten ist reich an Tradition, kuriosen Eigenheiten und viel Leidenschaft. Für unsere Schüler und Schülerinnen wirkt das anfangs vielleicht befremdlich. Aber gerade diese Spiele sind es, die das britische Schulleben so besonders machen – und wer sich darauf einlässt, entdeckt eine Seite der Insel, die weit über Fußball und Wimbledon hinausgeht.